Eine Rechenstörung wird von verschiedenen relevanten Einflussfaktoren bestimmt. Oft liegen neurobiologische Ursachen vor, die durch Umweltfaktoren oder durch andere Defizite beeinflusst werden.
Die Rechenstörung ist eine komplexe Störung, deren Ursachen bis heute noch nicht im Detail geklärt sind. Es wird angenommen, dass es mehrere Faktoren gibt, die einen direkten Einfluss auf die Rechenfertigkeiten einer Person haben. Dazu zählen vor allem genetische, neurowissenschaftliche und kognitive Faktoren.
Zusätzlich gibt es Umweltfaktoren, die bereits vorhandene Rechenprobleme noch verstärken. Gemeint ist unter anderem die Beziehung des Kindes zu Eltern, Gleichaltrigen und Lehrern und die finanzielle Sicherheit und Bildung der Eltern. Auch spielt es eine entscheidende Rolle, ob das Kind in anderen Bereichen Defizite hat (z. B. Aufmerksamkeit) oder psychische Probleme (z. B. depressive Symptome) zeigt.
Genetische Disposition
Studien zu den genetischen Ursachen einer Rechenstörung beziehen sich auf zwei Quellen. Erstens wird überprüft, inwiefern eine Rechenstörung genetisch vererbt werden kann und somit innerhalb einer Familie häufiger auftritt. Hierzu wird die Rechenleistung von Geschwistern oder Zwillingen miteinander verglichen. Bisherige Ergebnisse zeigen eine deutliche Erblichkeit der Rechenstörung. Liegt bei einem Geschwisterteil bereits eine Rechenstörung vor, so ist das Risiko um das Fünf- bis Zehnfache erhöht, dass auch der andere Geschwisterteil Rechenprobleme entwickelt. Bei eineiigen Zwillingen steigt dieses Risiko um das Zwölffache.
Zweitens wird in der genetischen Forschung der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen ein vorhandener Gendefekt auf das Erlernen des Rechnens hat. Dabei wird die Rechenfähigkeit von Personen mit genetisch bedingten Erkrankungen erforscht. Im Vordergrund stehen hier vor allem das Turner-Syndrom und das Fragile-X-Syndrom. Das Turner-Syndrom wird auch als „Monosomie X“ bezeichnet. Betroffene Personen sind ausschließlich Frauen, die nur ein X-Chromosom aufweisen. Beim Fragilen-X-Syndrom liegen beide Chromosomen (XX oder XY), allerdings mit einer genetischen Veränderung auf dem X-Chromosom, vor. Personen mit diesen Erkrankungen zeigten in mehreren Studien deutliche Defizite in ihren Rechenfähigkeiten und wiesen oftmals die Diagnose Rechenstörung auf. Eine verringerte Rechenleistung ist ebenso beim Deletionssyndrom 22q11 zu beobachten, bei dem das Chromosom 22 eine Beschädigung aufweist.
Veränderte Gehirnfunktionen und individuelle kognitive Faktoren
In der Neurowissenschaft werden bildgebende Verfahren verwendet, um Abläufe im Gehirn darzustellen. Da bereits Säuglinge Mengen unterscheiden können, wurde die Theorie entwickelt, dass es eine Art angeborenen Zahlensinn (number sense) gibt. Dieser dient dem Mengenverständnis und damit der Entwicklung der späteren Rechenfähigkeiten. fMRT- und EEG-Studien lassen auf eine Lokalisation des number sense im Parietallappen vermuten. Personen mit Rechenstörung zeigten in diesen Bereichen eine deutlich geringere Aktivierung.
Da Rechnen jedoch neben dem Mengenverständnis auch Zählfertigkeiten, visuelle Dekodierleistungen, sprachliche Fähigkeiten sowie das Arbeitsgedächtnis und die Aufmerksamkeit beansprucht, sind auch weitere Gehirnareale betroffen. Aus diesem Grund geht man von einem neuronalen Netzwerk verschiedener Areale aus, die beim Rechnen beteiligt sind.
So ist das Stirnhirn im Bereich des Frontallappens für die Aufmerksamkeitssteuerung notwendig, die zum Beispiel beim Lernen und auch Lösen komplizierter Rechenaufgaben notwendig ist. Auch Bereiche des Arbeitsgedächtnisses im Präfrontalkortex, insbesondere das visuelle Arbeitsgedächtnis, sind stark am Rechnen beteiligt. Entwicklungsbedingt zeigt sich, dass Kinder beim Rechnen zu Beginn eine starke Aktivität im Frontallappen aufweisen, die jedoch mit zunehmendem Alter abnimmt, wohingegen die Aktivität im Parietallappen steigt. Dies bedeutet, dass das Erlernen des Rechnens anfangs starke Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisressourcen benötigt, die allerdings mit Herausbildung des Zahlen- und Mengenverständnisses im Parietallappen (number sense) abnimmt. Interessanterweise zeigt sich bei Kindern mit Dyskalkulie dieser Übergang nur in geringerem Ausmaß. Rechnen ist bei ihnen auch mit steigendem Alter noch mit einer hohen Aktivierung des Frontallappens und einer geringeren im Parietallappen verbunden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind sprachliche Fähigkeiten sowie Gedächtnisleistungen, die beim Zählen, dem Transkodieren von Zahlwörtern und insbesondere dem Faktenwissen eine tragende Rolle spielen. Die linken Gehirnareale (Gyrus angularis, die linken Basalganglien sowie allgemein der linke inferiore Temporal- und Frontallappen) sind bei Zähl- und Rechenaufgaben und dem Faktenwissen stark eingebunden. Die visuellen Areale des Okzipitallappens sind beim Dekodieren arabischer Zahlen sowie beim Lösen von schriftlichen Rechenaufgaben stärker aktiviert, da Rechnen auch mit einer visuellen Leistung verknüpft ist.
Eine altersgemäße Entwicklung sowie ein funktionierendes Zusammenspiel dieser Areale sind demnach für eine normale Entwicklung des Rechnens notwendig. Störungen in den einzelnen Bereichen können zu spezifischen Problemen führen, wobei sich der Parietallappen als tragendes Element für das Rechnen herauskristallisiert hat.
Umweltfaktoren
Das Mitwirken von Umweltfaktoren (z.B. das sprachliche, familiäre und sozioökonomische Umfeld des Kindes) oder die Unterrichtungsform an der Entstehung der Rechenstörung sind bisher nur unzureichend untersucht.
Abschließend sei erwähnt, dass auch Aspekte wie das Selbstkonzept des Kindes, eine positive Beziehung des Kindes zu den Eltern, Gleichaltrigen und Lehrern und die familiäre Sicherheit Auswirkungen haben. Sie stehen zwar in keinem direkten Zusammenhang mit der Rechenfähigkeit, aber tragen zum Wohlbefinden des Kindes bei. Dies hilft, das Kind bei Misserfolgen in Mathematik aufzufangen, damit es eine positive Einstellung zu sich selbst und zur Schule behält.